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Masochist bin ich nicht – Im Gespräch mit Henry Hübchen (Foto: Franziska Hübchen)
Im Gespräch mit Henry Hübchen (Foto: Franziska Hübchen)
■ Man erkennt ihn auf der Straße. Viele Filme und Theaterstücke, in denen Henry Hübchen als Schauspieler mitwirkt, gehören längst zum hiesigen Kulturschatz. DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl sprach mit dem sympathisch knurrigen Berliner über die Kraft der Komödie, einen Anwerbeversuch der Stasi, die Jahre nach der Wende und den Ende Februar anstehenden Abend in der Schauburg.







Sie haben über 120 Filme gemacht. Gibt es rückblickend ein Drehbuch oder eine Rolle als besonders großen Leuchtturm?

Henry Hübchen: Es gibt gute und weniger gute Drehbücher. Dann gibt es welche, die so in Ordnung sind. Das heißt aber nicht automatisch, dass auch der Film in Ordnung ist. Ein Drehbuch ist nur Vorlage und Vorschlag für die Realisierung eines Films. Eigentlich bin ich Theaterschauspieler. Ich habe mein Leben lang Theater gespielt, mal mehr, mal weniger, bis ich mich 2009 erst mal von der Bühne zurückgezogen habe. Die 120 Filme sind natürlich alles Leuchttürme, aber manche sind nur ein Meter hoch. Wenn es nur darum ginge, Leuchttürme zu produzieren, hätte ich nicht arbeiten können. Eigentlich habe ich gar kein Interesse, eine Chartliste aufzustellen, aber bei dieser ganzen Fischerei im Trüben kommt dann eben doch auch mal ein Solitär ins Netz. »Jakob der Lügner« war und ist ein wirklich sehr guter Film mit einer Oscar-Nominierung. Bei »Alles auf Zucker« war das Drehbuch klasse, und der Film hat auch funktioniert. Ohne Krampf, mit wenig Geld und wenig Drehtagen. Dann sind da noch »Whisky mit Wodka« und der eine oder andere Turm, der gerade nicht leuchtet, weil die Birnen durchgebrannt sind. Ich kann sie an den Fingern abzählen. Peter Paul Rubens hat sicher mehr Bilder gemalt, die bedeutend sind.

Stichwort Überhöhung, wenn man an »Sonnenallee«, »Alles auf Zucker« oder auch »Stasi-Komödie« denkt. Ist das Format der Komödie die beste Wahl für schwierige Themen?

Henry Hübchen: Nicht immer die beste, aber eine Wahl. Das ist von Fall zu Fall verschieden. Eine »Stasikomödie« wäre zu jeder Zeit eine gute Wahl gewesen, aber niemand hat sie gemacht. Da musste erst Jahrzehnte später Leander Haussmann kommen. Kurz nach der Wende waren die Medien voll mit Stasi-Themen. Da gab es Filme, gemacht von Leuten, die keine Ahnung hatten, sondern sich nur angelesen hatten. Die kamen dann vom Bodensee oder noch ganz woanders her. Komischerweise hat erst spät jemand mit einer Ostsozialisierung einen Film gemacht, in dem auch das Stasi-Thema eine Rolle spielt. Dazu gehört Andreas Dresen mit »Gundermann«. Da wird dann natürlich vielschichtiger erzählt.

Was war der Ansatz bei »Stasikomödie«?

Henry Hübchen: Wir wollten einen Film über ein Lebensgefühl machen, das wir in der Subkulturszene des Prenzlauer Bergs hatten. Schon damals haben wir die Stasi auf die Schippe genommen und uns über die armen Schweine lustig gemacht, die auf der Straße irgendwas abriegeln oder aufpassen mussten, dass irgendein Festtag nicht aus dem Ruder läuft. Das ist ein Lebensgefühl, was bisher nicht erzählt wurde.

Es gab auch Kritik, so einen Stoff könne man nicht komödiantisch verarbeiten … ?

Henry Hübchen: Chaplin hat den großen Diktator gedreht, da fand der Zweite Weltkrieg noch statt. Nein, im Gegenteil: Man kann alles machen, wenn man es kann. Es sind immer die autoritären Moralisten, die ihre Vorurteile vor sich hertragen.

Sie selbst haben einen Anwerbeversuch der Stasi bei ihrer Musterung mit dem Hinweis auf ihre Geschwätzigkeit abgeblockt?

Henry Hübchen: Ja, aber das ist nichts Besonderes gewesen. Man bat mich zu einem kurzen Gespräch mit einem freundlichen Genossen noch in ein Nebenzimmer. Mir war klar, was das für ein Genosse war, es hat mich aber nicht weiter interessiert. Ich habe nicht im Traum daran gedacht, mir die Befreiung der kasernierten eineinhalb Jahre Armeedienst durch irgendwelche Spitzeltätigkeiten im Theater zu erkaufen. Da habe ich auf meine viel zu große Geschwätzigkeit hingewiesen und dass ich als Geheimnisträger überhaupt nicht geeignet bin und schon war die Sache in dem Falle erledigt.

Unter Benno Besson kamen Sie 1974 an die Berliner Volksbühne, haben dort später mit Fritz Marquardt und Frank Castorf gearbeitet und auch in der DDR viele Filme gemacht. Hatten sie zur Wende Angst, wie sich ihre berufliche Situation als Schauspieler weiterentwickelt?

Henry Hübchen: Nein überhaupt nicht. Ich war eher gespannt was da aus dem Westen auf mich zukommt. Da bin ich vielleicht ein bisschen oberflächlich. Ich hatte einen Vertrag an der Volksbühne, einem großen Theater- und Kulturbetrieb. Den werden sie nicht abwickeln. Ich machte mir also überhaupt keine Gedanken, dass ich irgendein Problem mit oder nach der Wende haben könnte. Im Gegenteil, ich hatte ja vorher schon in Westdeutschland und als Gastspiel im westlichen Ausland gespielt. Das war eine unglaublich spannende Zeit.

Wie ging es für Sie dann weiter?

Henry Hübchen: Das war wie eine Zündung der zweiten Beschleunigungsstufe. Auf einmal kam neben dem Theater reichlich Arbeit mit Film und Fernsehen dazu. Es gab ja nicht mehr nur die DEFA, die jetzt auch ihre Probleme bekam. Der Fernsehfunk wurde abgewickelt und viele Regisseure hatten Schwierigkeiten, neue Aufträge zu bekommen. Aber es gab eben plötzlich auch ganz viele andere Sender und die ganzen Westproduktionen mit einem Haufen an Arbeitsmöglichkeiten. Ich war gerade 42 geworden. Dann kam eine sehr produktive Phase mit meinem Freund Frank Castorf, der 1992 Intendant der Berliner Volksbühne wurde. Ab da haben wir zehn Jahre lang gemacht, was wir schon immer wollten.

Was haben sie für eine Erwartung ans Publikum?

Henry Hübchen: Ich weiß nicht, wie es anderen geht, aber ich möchte das Publikum an einem Abend oder mit einem Film überraschen, das heißt unterhalten. Dass es sich lohnt, von der Couch aufgestanden zu sein. In dieser Erwartung steckt natürlich auch die Sehnsucht, geliebt zu werden. Ich mache die Arbeit ja nicht, um verprügelt zu werden. Masochist bin ich nicht.

Im Februar werden Sie 77 Jahre alt. Schon mal an den verdienten Rentenzustand gedacht?

Henry Hübchen: Lassen Sie mich mit Zahlen in Ruhe. Mein Leben ist ein Rentenzustand gewesen. Ich habe Sachen gemacht, die mir mal mehr, mal weniger Spaß gemacht haben. Dieser Beruf ist unstet und hat nichts mit einem strukturiert ordentlichen Leben zu tun. Es gibt ein Goethe Wort: »Tun und lassen können, was man will, das ist das Wichtigste im Leben«. Das habe ich versucht zu realisieren. Ich führe schon eine ganze Weile das Leben eines engagierten Privatiers, bekomme seit meinem 65. Lebensjahr eine selbst erarbeitete, wie sie sagen, verdiente Apanage. Ansonsten tue und lasse ich dieses und jenes und bin gespannt, wie es so weitergeht auf der Welt.

Der Anlass für dieses Gespräch ist der anstehende Kulturtalk mit Moderator Robert Rauh in der Dresdner Schauburg. Was kann das Publikum von diesem Abend erwarten?

Henry Hübchen: Angefangen haben wir bei mir um die Ecke im Pankower Schloss. Irgendwann ist dann Günther Fischer mit Saxophon und Background vom Computer dazugekommen. Das ist ganz schön, weil nicht nur gesprochen wird, sondern auch Hochkultur geboten wird. Robert Rauh und ich unterhalten uns dann hauptsächlich über das, was man nicht sieht: Schauspielerarbeit, Film, Regie, Theater und die Kuriositäten, die hinter der Leinwand oder der Bühne passieren. Das ist ganz unterhaltsam, weil die Leute ja meistens eine falsche Vorstellung vom Schauspielberuf haben. Die versuche ich zurechtzurücken, dann kommt noch aktuelles dazu. Robert Rau ist immer gut vorbereitet und überrascht mich mit hinterhältigen Fragen. Wenn ich gut drauf bin, ist das ganz witzig.
Vielen Dank für das Gespräch!

Ein Abend mit Henry Hübchen, am 24. Februar 2024, 20 Uhr, in der Schauburg. Mehr dazu unter: www.schauburg-dresden.de/index.php?page=va&va_id=48745

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