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Nicht zynisch werden – Kettcar im Interview (Foto: Andreas Hornoff)
Kettcar im Interview (Foto: Andreas Hornoff)
■ Es gibt viel zu tun. Mit »Gute Laune ungerecht verteilt« erscheint im April das sechste Kettcar-Album. Als Bassist und Mitbegründer des Labels »Grand Hotel van Cleef« ist Reimer Bustorff also ordentlich ausgelastet. Zwischendrin findet der sympathische Hamburger dennoch Zeit, um mit DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl über Hoffnung, Protestsongs und Michael Jackson zu schnacken.

Seit dem letzten Album »Ich vs. Wir« sind sieben Jahre vergangen. Fühlt es sich seltsam an, wenn jetzt von einer Rückkehr Kettcars gesprochen wird?

Kettcar: Für mich fühlt sich das tatsächlich komisch und gar nicht so lange an. Ich bin ja hier in diesem Kosmos. Vor sieben Jahren haben wir die letzte Platte rausgebracht, waren zwei Jahre damit auf Tour, dann kam Corona und irgendwann haben wir wieder angefangen, neue Stücke zu schreiben. Das ist bei uns immer ein ewiger Prozess, mit vielen Diskussionen, viel abhängen und viel sich die Köpfe einhauen. Wir sind als Band ja keine Bürogemeinschaft, sondern sehen uns ständig. Besonders Marcus und ich sitzen viel beim Label zusammen. Ansonsten gehen wir zusammen zum Fußball, verbringen miteinander viel Zeit außerhalb der Musik und sind trotzdem immer auch im Austausch über neue Musik. Eine enge Freundschaft halt.

»München«, die erste Single zum neuen Album, ist ein mitreißendes Statement gegen Alltagsrassismus. Du hast es geschrieben. Was war die Initialzündung?

Kettcar: Diesen Yachi, um den es im Text geht, gibt es wirklich. Wir haben als Jugendliche zusammen in Hamburg Fußball gespielt. Der hat diesen Mist schon in den 80ern erlebt. So habe ich in das Thema gefunden, dann ein bisschen fabuliert. Das ist jetzt nicht eins zu eins autobiografisch. Zum Beispiel habe ich nie einen Mietvertrag für ihn unterschrieben. Wir halten aber bis heute Kontakt.

Das Video zum Song setzt den Opfern des NSU-Terrors ein Denkmal. Warum diese visuelle Umsetzung, anstatt nah am Text zu bleiben?

Kettcar: Wir haben diskutiert und entschieden, dass uns eine einfache Kumpelgeschichte zu billig wäre. Das hätte nicht dem entsprochen, was an Tiefe im Text ist. Die Idee, Tatorte abzubilden und als Mahnmal verstanden zu wissen, kam vom Regisseur Mario Möller. Das haben wir gerne aufgenommen.

Lieder wie Soffies »Für immer Frühling« oder eben »München« passen zum Gefühl der Zeit. Kommt durch die großen Demonstrationen gegen Rechts wieder Schwung ins Genre »Protestsong«?

Kettcar: Ja klar. Es freut mich auch, dass wieder ein Ruck durch die Gesellschaft geht und Aufbegehren und Empörung zu spüren sind. Ich habe lange darunter gelitten, dass gerade die Nullerjahre so bequem waren. Auch, wenn ich nicht immer mit allem d’accord gehe, finde ich es im Großen und Ganzen wichtig, dass Leute ein Zeichen für Demokratie setzen und eine klare Haltung einnehmen.

Ist es dabei nicht oft wie mit »Nazis raus-Rufen« bei Konzerten von Die Ärzte – eine Echokammer?

Kettcar: Absolut.

Aber was kann Musik darüber hinaus gesellschaftlich leisten?

Kettcar: Natürlich ist mir bewusst, dass ich bei einem Konzert auf der Bühne vor Gleichgesinnten stehe. Trotzdem ist es wichtig, einander Mut zu machen und zu zeigen, dass man nicht allein ist. Wir sind mehr. Ein wichtiges Signal, das Musik leisten kann. Mir ist auch klar, dass ich mit einem Song nirgendwo Frieden stifte, oder die Welt gerechter mache. Was ich aber aus meiner eigenen Sozialisation heraus weiß, ist, dass Bands wie Fugazi oder Bad Religion mein Leben beeinflusst und verändert haben. Sei es meine Sichtweise auf Politik oder Strömungen wie Vegetarismus. Damit habe ich mich auseinandergesetzt, weil es Bands gab, die das vorgelebt haben. Wenn ich das mit Kettcar bei irgendeiner verlorenen Seele da draußen ebenfalls schaffe, dann ist mein Auftrag erfüllt.

»Kanye in Bayreuth« heißt ein Song der neuen Platte, der sich ambivalent mit dem Thema der sogenannten Cancel Culture auseinandersetzt. Danach bleibt man etwas ratlos zurück. Worum geht es in dem Stück?

Kettcar: Genau darum, wie du es beschreibst und empfindest. Man steht davor und weiß nicht so genau, wie man sich zum Thema verhält. Das macht uns als Texter und Musiker mit aus: Zuzulassen, keine klare Meinung zu haben. Was ist denn jetzt mit Michael Jackson? Darf man den noch hören, oder nicht? Ist ja trotz alledem große Kunst, aber er ist halt auch ein Verbrecher. Ab da wird es schwierig. Auch The Smiths sind eine große und wichtige Band für mich. Morrissey bin ich sogar hinterhergefahren. Aber klar, auch ihn muss man ächten, für das dumme Zeug, dass er von sich gegeben und womit er viele Leute getroffen hat. Dazu muss jeder seine persönliche Haltung finden. Der Song kriegt es ziemlich gut hin, da ein paar Denkanstöße zu liefern.

Gibt es Stücke anderer Bands der Hamburger Schule, die du gerne selbst geschrieben hättest?

Kettcar: Oh, da gibt es viele. »Was hat dich bloß so ruiniert?« oder »Universal Tellerwäscher« von den Sternen. Auch Tocotronic haben wahnsinnig viele gute Songs geschrieben. Blumfelds »Verstärker« ist auch ein Hit, der mich immer begleitet hat.

Tocotronic habe ich mal in einem Interview sinngemäß die Frage gestellt, ob der Spagat zwischen Fan und Feuilleton bei ihnen nicht mehr ganz so groß ist, weil Fans der ersten Stunde mittlerweile im Alter klassischer Feuilletonleser sind. Wie ist das bei euch?

Kettcar: Bei uns vielleicht sogar noch extremer als bei Tocotronic. Die waren ja schon immer eine Feuilletonband. Bei uns war das schwieriger. Da gab es gerne mal Zuschreibungen wie »Kumpelrock«. Ich merke aber, dass zum Beispiel der Rolling Stone jetzt anders auf uns reagiert, als früher. Das hängt natürlich auch damit zusammen, dass unsere Fans mitgewachsen sind.

Das 16-jährige Ich fragt, warum man überhaupt noch eine Band gründen soll. Deine Antwort?

Kettcar: Man kann sich kreativ ausleben, es ist kommunikativ und macht wahnsinnig Spaß. Ich habe nicht aus wirtschaftlichen Gründen angefangen Musik zu machen, sondern weil ich mit Freunden abhängen wollte. Meine Vision war, so zu sein wie die Ami-Bands, die ich gehört habe. Dafür hat man sich mit Leidenschaft und drei Akkorden im Proberaum getroffen. Mehr konnten wir nicht. Am Ende hat es viel mit Glück zu tun, und ich bin einfach dankbar, da zu sein, wo ich jetzt bin.

In »Rügen«, dem vierten Stück des Albums, heißt es: »Es wird irgendwann irgendwie gut und jeder ist so was von cool.« Strohhalm oder Verheißung?

Kettcar: Im Lied ist es ein Strohhalm, aber auf dem Album schimmert ja überall ein bisschen Hoffnung durch. So soll das auch sein. Wir sind keine Band, die sagt, dass alles keinen Sinn mehr macht, und wir sind auch die letzten, die zynisch werden wollen. Wir machen weiter, immer weiter.
Vielen Dank für das Gespräch!

DRESDNER Kulturmagazin präsentiert: Kettcar am 26. April live im Alten Schlachthof. Mehr zur Band: www.kettcar.net/

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