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Vom Nutzen, unterschätzt zu werden – Annett Louisan im Interview (Foto: Sony Music)
Annett Louisan im Interview (Foto: Sony Music)
■ Die erfolgreiche Sängerin und Songschreiberin Annett Louisan spricht im Interview mit DRESDNER-Autor Matthias Hufnagl über das Älterwerden, »Babyblue« und den Nutzen, unterschätzt zu werden.

Du bist in Schönhausen (Elbe) aufgewachsen und nach der Wende 1989 mit deiner Mutter nach Hamburg gegangen. Wie prägend war dieser Schritt für dich?

Annett Louisan: Ein enorm wichtiger Einschnitt in meinem Leben. Vom Land in die Stadt, vom Osten in den Westen – das war damals ja noch viel stärker zu spüren. Dazu von der Kindheit in die Pubertät. Heute weiß ich, dass ich schon immer große Sehnsucht nach der Stadt hatte, auch wenn mir die Kindheit auf dem Land gutgetan hat. Ich glaube, dass wir vom Wesen viel in uns haben, was erst später zum Vorschein kommt. Damals hat mich die große Veränderung introvertierter gemacht. Rückblickend betrachtet nicht das schlechteste, sich erst mal alles anzuschauen, bevor man das große Scheinwerferlicht anmacht. Meiner Mutter bin ich für diese mutige Entscheidung bis heute sehr dankbar.

»Babyblue« ist der Titel deines diesjährig erschienenen, zehnten Studioalbums. Eine Hommage an die Menschen der Nacht?

Annett Louisan: Schön gesagt, absolut – aber auch an die inspirierende Kraft der Melancholie. Krisen und Ruhephasen müssen nicht immer zwangsläufig dunkel, sondern können auch eine Chance sein, um sich weiterzuentwickeln. Wenn Menschen glücklich sind, bleiben sie oft stehen und genießen. Um weiterzukommen, ist aber das Wechselspiel mit anderen Phasen enorm wichtig.

Das Stück »Die mittleren Jahre« eröffnet die Platte. Ein Text, auch als Abrechnung mit Jugend als ewige Währung im Musikbusiness?

Annett Louisan: Natürlich gibt es Ageism auch in der Popmusik. Dabei können Alte und Junge einiges voneinander lernen. Viele Leute haben generell Schwierigkeiten mit dem Alter. Gleichzeitig ist es ein so wichtiges, tolles und lustiges Thema. Mir war es wichtig, das einmal anzupacken. Themen anzugehen, die nicht immer wieder das Gleiche besingen und auch mal schwieriger sind. »Babyblue« ist kein Gebrauchsalbum.

Wird man als junger Mensch von Träumen geleitet und später sind es die Enttäuschungen, die einen formen?

Annett Louisan: Ich glaube, dass Träume immer und zu jeder Zeit wichtig sind. Ohne sie wird es schwierig. Ich habe Träume, aber eben neue. Natürlich geht es gleichzeitig immer auch um den Fakt, dass sich manche Träume nicht bewahrheitet haben. Das gehört zur zweiten Lebenshälfte und tut mitunter verdammt weh. Darüber zu lange traurig zu sein, ist aber auch nicht gut. Deshalb muss man sich damit befassen, den Schmerz reinlassen und damit abrechnen. Mir hat das total geholfen, ein bisschen zur Ruhe zu kommen. Dennoch möchte ich maßlos in der Liebe sein, maßlos Lebensfreude austeilen und in die Tiefe gehen. Ich bin immer noch dabei, Teile meiner Persönlichkeit neu zu entdecken. Das hört nie auf. Eine Zeit lang dachte ich, dass es keine ersten Male mehr gibt, aber das stimmt überhaupt nicht.

Was würde dein junges Ich der heutigen Annett sagen?

Annett Louisan: Dass ich es mehr genießen und nicht so viel Angst haben soll. Ich war ja immer schon ein Lampenfiebertyp und habe da ganz schön Federn gelassen. Vielleicht hätte ich mir schon viel früher therapeutische Begleitung suchen müssen. Wenn ich mir zum Beispiel Interviews von Nina Chuba durchlese, habe ich das Gefühl, die heutige Generation ist da ein ganzes Stück weiter und schneller dabei, bestimmte Sachen zu erkennen. Wir haben länger gebraucht. Rückblickend hätte ich der kleinen Annett daher geraten, sich einen Therapeuten zu suchen, um das nicht alleine machen zu müssen. Vielleicht geht’s dann schneller und mit weniger Prosecco.

Mit Tristan Brusch hast du »Wenn ich einmal sterben sollte« geschrieben. Mit Tim Tautorat teilt ihr euch den gleichen Produzenten. Ein Wunschkandidat für deine Platte?

Annett Louisan: Ich habe vorher schon ein bisschen geschaut, hatte Faber für mich entdeckt und natürlich Tristan. So kam ich auf Tim Tautorat. Wir haben uns kennengelernt und es hat schnell geklickt. Stilistisch teilen wir ein Faible für die alte Zeit. Für ein Album ist es total wichtig, dass man die ästhetische Straße zusammen fährt. Tristan ist mittlerweile mein bester Freund. Für mich ist er der allerbeste deutsche Textdichter.

In einem Boulevardblatt wird neben dem Album auch deine Körpergröße von 1,52 m erwähnt. Wie sehr hast du seit Beginn deiner Karriere mit diesem Niedlichkeitsklischee zu kämpfen?

Annett Louisan: Das ist so, seit ich auf dieser Welt bin. Wenn ich nach Italien, Frankreich, Spanien oder Mauritius fahre, ist es nicht so dramatisch. In Deutschland aber ziehen die Menschen bei mir oft ein süßliches Gesicht. So nach dem Motto, »klein aber oho«. Es ist eine menschliche Schwäche. Vorschnelle Meinungen aufgrund von Äußerlichkeiten. Ich habe das immer für mich genutzt. Gib jemandem Macht in die Hand und du lernst den Charakter schneller kennen. Ich bin sicher oft unterschätzt und vielleicht auch mal für niedlich gleich dumm gehalten worden. Das kann auch ein Vorteil sein, wenn sich Menschen in Sicherheit fühlen und überheblich werden. Sie sind dann ungewollt ehrlich, man muss es nur erkennen und sich nicht persönlich zu gekränkt fühlen. Heute bin ich glücklich über die Möglichkeit, daraus etwas Schönes zu machen.

Wie erklärst du dir, dass die Songs von »Babyblue« nicht oft im Radio gespielt werden?

Annett Louisan: Über die Jahre bin ich komischerweise mehr und mehr in die konservative Ecke oder auch zum Schlager gesteckt worden. Da gehöre ich nur zum Teil hin, aber das muss ich im Vertrauen darauf aushalten, dass wenn mich Leute live sehen, sie mich in die richtige Schublade packen. Sein Publikum zu finden und zu erreichen, ist manchmal nicht so einfach.

Was ist besonders an dem im Oktober erschienenen Album »Live aus der Elbphilharmonie«?

Annett Louisan: Ich habe noch keine wirkliche »Best-of-Platte« gemacht und wollte, dass das jetzt live passiert und nicht mit irgendeiner Compilation. Es gibt ja bald auch das 20-jährige Jubiläum zu feiern. Sicher war es mutig, gleich das erste Release-Konzert in Hamburg aufzunehmen. Mit neuer Band waren wir noch nicht komplett eingespielt. Im Nachhinein würde ich es aber nie wieder anders machen. Eine Aufnahme, live, mit kleinen Fehlern. Ein magischer Abend.
Vielen Dank!

Annett Louisan ist am 21. November 2023 live im Kulturpalast zu erleben. Mehr zur Künstlerin: www.annettlouisan.de/

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